Sag mir bitte, dass es dir gut geht.

Einmal mehr im Leben fragst du dich, was nach dem Tod geschieht. Ist dann wirklich, echt jetzt, mit einem Kawumms einfach alles vorbei? Befindest du dich dann im Nichts, Nichts Denken, Nichts Fühlen, Nicht mehr Sein, für die Ewigkeit? Oder gelangt dein Körper in die Hölle, in Form von.., ja was eigentlich? In Form einer Fledermaus? Des Teufels? Satan höchstpersönlich? Wirst du vielleicht wiedergeboren, als Fisch, vielleicht? Oder entweicht die Seele dem Körper um durch die Weltgeschichte zu schweben? Die Seele, welche achtsam und nebulös aus dem Körper kriecht, fast wie Nebelschwaden, nur eben unsichtbar.

Du erinnerst dich an den schlimmsten Tag deines Lebens, es scheint als war es gestern, wie du am Bett gesessen bist, von deinem Papa, deine Stiefmutter-so nennst du sie der Einfachheit halber, ließ dich für ein paar Minuten allein zurück. In deinem Hals ein dicker Kloß. Heiße Tränen, welche in Sturzbächen aus deinen Augen strömten, kein Ende nehmend. Dein Mund staubtrocken, als hättest du seit Tagen nichts mehr getrunken. Aus verquollenen Augen schautest du deinen Papa an, du siehst ihm so ähnlich. Du hast seine Nase. Seine Mundpartie. Er hat vieles an dich weitergegeben. Du fühltest dich wie gelähmt, gefangen in einem Alptraum, aus dem du einfach nicht erwachen konntest. So unwirklich, wie er vor dir lag, die Augen geschlossen, der Mund geöffnet, so als würde er schlafen, und laut schnarchen. Doch er schnarchte nicht, kein Ton kam über seine Lippen, und auch sonst regte sich nichts mehr in diesem Raum. Gespenstische Stille umgab dich und ließ dich erschaudern, dir war schweinekalt, du hast gezittert und die Zähne schlugen klappernd aufeinander, blaugefärbte Lippen zeigten deine innerliche Kälte. Du nahmst seine Hand in die deine und hieltest sie und streicheltest sie, behutsam, sanft, zärtlich und liebevoll. Dir gingen so viele Gedanken durch den Kopf und gleichzeitig war da nichts außer unendliche Leere in dir. Da war so viels, was dir über die Lippen wollte, doch kein Wort konntest du nach außen tragen. Du weintest und weintest so viele Tränen des Schmerzes und Vermissens, deine Brust zog sich qualvoll zusammen, diese Bleischwere in dir und deinem Hirn, du atmetest schwer, bekamst kaum noch Luft, schnappartig zogst du Luft ein, um diese im nächsten Atemzug wieder rauszuweinen, und zu schreien, denn innerlich war der Schrei so laut wie ein Atombombeneinschlag. Erschütternd, ohrenbetäubend. Sekunden verstrichen, Minuten, du weißt nicht mehr wie lange du dort saßt auf diesem Stuhl, neben Papas Bett, jegliches Zeitgefühl ging dir verloren. Das Fenster angekippt, leichte Windbrisen schwebten durch den Raum. An der Decke des Heimes hingen gebastelte Sterne, welche sich leicht im Lufthauch bewegten. Sie schwangen von einer Seite zur Anderen, doch ansonsten kehrte kein Leben zurück in diese 4 Wände. Du fragtest dich, wo dein Papa jetzt wohl ist, ob er dich sehen kann, wie du bei ihm sitzt, der Ohmacht nahe und aus deinen Augen blickend, verquollen und rot. Du fragtest dich, ob er deine Tränen trotzdem noch spüren kann, welche auf seinen Körper niedertropften. Heiß, dampfend. Innerlich schimpftest du mit dir selber, wolltest du ihm doch nicht weh tun, mit deinen heißen Tränen, nicht dass er sich verbrennt. Du fragtest dich, ob er trotzdem noch bei dir war, im Raum, vielleicht vor dir saß, auf dem Bett. Vielleicht hob er sogar seine Hand, um dir die Haare, die dir ins Gesicht fielen, aus dem Gesicht zu streichen, und dann ein Stofftaschentuch reichend, um dir zu signalisieren: „Zieh deine verdammte Nase nicht hoch, sondern schnaub, Mädel!“ Bis zuletzt hat Papa das Nasehochziehen gehasst. Auch in seiner Zeit der Krankheit. Wenn du kein Taschentuch hattest musstest du nun mal Nase hoch ziehen. Dafür erntetest du dann böse Blicke. Entschuldigend „Na was denn? Nase hochziehen ist gesund! Sogar gesünder als schnauben“. redetest du dich raus. Dir liefen die Tränen, wenn du daran dachtest, du wolltest ihn nicht verärgern, das hast du nie gewollt. Du wolltest immer, dass er stolz auf dich sein kann, stolz auf sein Mädchen. Du bist dir nicht sicher, ob er je stolz sein konnte auf dich, und das was du erreicht hast im Leben, wenn auch nicht viel. Dein Papa hat es nie gesagt. Dann wurde es Zeit Abschied zu nehmen, unter Tränen hattest du ihm deine Liebe gestanden, hattest dich bedankt dafür, durch ihn erfahren zu haben was es heißt zu lieben. Was es heißt du Empfinden und zu Fühlen. Du hast dich entschuldigt dafür, nicht viel öfter für ihn da gewesen zu sein und du gabst ihm ein Versprechen. Du versprachst ihm auf seine Partnerin aufzupassen, ein Auge auf sie zu haben, Acht zu geben, und sie nicht im Stich zu lassen. Du versprachst ihm, dass du für sie da sein wirst. „Mach dir keine Sorgen Papa“! Deine Augen schmerzten all der Tränen, sie hinterließen salzige Wege des Verlustes auf deinen blassen Wangen. Du gingst ganz nah an ihn heran, nahmst jedes noch so kleine Detail in deinem Verstand auf, um niemals nie zu vergessen, wer er gewesen ist. Dein Papa. Wieder entwichen dir Schluchzer der Hyperventilation, verzweifelte Japser, um Rückkehr bittend. Du führtest deinen Mund auf Papas Stirn und gabst ihm einen herzlichen Kuss, einen Abschiedskuss. Dann klopfte es an der Tür. Die Leichenbestatter wollten ihn mitnehmen.

Du erinnerst dich, wie du einmal mit Papa über das Leben und den Tod gesprochen hattest und du berichtetest ihm von deiner Oma, was seine Mama war. Die Oma hat sich damals bei dir verabschiedet, in ihrem alten Haus, an dem Tag, an dem sie hätte Geburtstag gehabt. Doch sie starb schon ein Jahr zuvor an einem schweren Krebsleiden. Das erzähltest du Papa, wie sie dich aufsuchte, du hast sie nicht gesehen, doch sie hat etwas aus dem Regal geworfen, was mit einem lauten Knall zu Boden ging. Du weißt, das war die Oma. Es war ihr letzter Gruß. Wenn du allein gewesen wärst, hättest du an deinem Verstand gezweifelt, an deinen Hirnsynapsen, die anscheinend nicht mehr rund liefen, doch du warst nicht allein, denn deine jüngere Cousine war bei dir, und ihr saht euch aus großen, erschrockenen Augen an, doch als ihr realisiertet liefen Tränen, Tränen der Freude und der Ungläubigkeit. Papa lachte dich aus, als du ihm Bericht erstattet hast, er fand das wahnsinnig komisch, dieses Märchen, welches du ihm da auftischtest, doch du wusstest es einfach besser. Papa wollte es nicht glauben, weil er nicht konnte, lässt es sich doch nicht rational erklären, alles Humbug.

Nun wünschst du dir, dass er dich aufsucht, dass auch er einen letzten Gruß an dich hat. Du bist dir sicher, dass du es diesmal wärst, die ihn auslachen würde, denn du hast es ja schon immer gewusst, doch dann würdest du weinen und einfach nicht mehr klar kommen in deiner beschissenen Welt, weil er dir einfach so sehr fehlt, und nie wieder zurückkommen wird. Er wird dir nie wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen, nie wieder über diese Märchen lachen die du ihm erzählst, die ja gar keine sind, und er wird nie wieder fragen, was es neues gibt bei dir und in deiner Wohnung mit den blöden Nachbarn und bei deinem Job. Er wird dich gar nichts mehr fragen, außer vielleicht eines: „Woher wusstest du, dass es Oma war?“

14 Gedanken zu “Sag mir bitte, dass es dir gut geht.

  1. liebende die von uns gehen,kreisen als sternschnuppen um die erde,ehe diese explodieren und sich in kleine energiepartikel zersetzen,und von da an stehts in unserer nähe sind,uns umkreisen um auf uns aufzupassen.

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  2. Hallo Netti, ein wirklich sehr starker Beitrag, der die Liebe und Trauer, die in ihm stecken auf eine ganz besondere Weise vermittelt. Beeindruckend, wie du das in diese Zeilen gepackt hast!
    Und ganz egal ob und was nach dem Tod kommen mag: In unseren Herzen leben die Menschen, die uns wichtig sind, auf jeden Fall weiter.
    Liebe Grüße, Chris

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  3. was gibt es schlimmeres als den tod der nahestehendsten familienmitgliedern. es gibt dazu nichts aufheiterndes zu sagen, außer, dass das, was er dir gegeben hat, immer bei dir sein wird. ich habs auch nicht so mit dem glauben an ein leben nach dem tod, vielleicht weil ich damals von meiner oma keinen letzten gruß bekommen habe obwohl ich ihn mir so verzweifelt gewünscht hab. dennoch hatte ich einmal ein eigenartiges erlebnis dahingehend. man weiß es nicht. ich wünsche dir, dass du von ihm einen bekommst und dass du dich an das gefühl gewöhnst, der schmerz abebbt und du von den schönen erinnerungen zehren kannst…

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      1. es ist schön, wenn ich dir ein klein wenig trost spenden konnte. und nimm dir die zeit traurig zu sein. nur, weil die welt sich draußen weiterdreht, heißt das nicht, dass es sich in dir drin auch schon weiterdrehen muss.

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  4. Donna & die blinden Simulanten

    Sehr schön geschrieben und sehr traurig zugleich . Ich konnte gar nicht bis zu Ende lesen , weil ich zu berührt war . Mein Vater ist gerade erst im Dezember gestorben :( l.g.Anja

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      1. Donna & die blinden Simulanten

        Mein Beileid auch zu dir ! Für mich ist es sehr schwer zu akzeptieren das er nicht mehr da ist . Man weiss es , aber man möchte es nicht wahr haben . Wir waren noch Stunden nach seinem Tod im Zimmer und ich habe ständig dieses Bild im Kopf ! :(

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      2. Danke. Es geht mir ganz genauso, wie dir mit dem was du schreibst. Er fehlt so schrecklich, noch immer kommt es mir so unwirklich vor, wie gefangen in einem horrortraum aus dem man einfach nicht erwachen kann. 😢

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