Sag doch was du willst, und ich sag´ dir was ich fühl´.

Manchmal weiß man gar nicht mehr, wie es ist das Herz bewusst zu spüren, es schlagen zu merken, es freudenhüpferschlagend im Brustkorb wahrzunehmen, ein Stolpern, oder ein so leichtes Gefühl des Schwebens. Man versucht sich zu erinnern, doch wenn man etwas lange nicht wahrgenommen, nicht mehr empfunden hat, geraten solche Empfindungen in Vergessenheit, aber wenn ein Herz bricht, spürt man es nicht nur, sondern man erinnert es auch. Den Schmerz. Den unendlich tiefgehenden Schmerz. Man glaubt dann es wird nie wieder gesund, nie wieder ganz, es bleibt kaputt. Für immer. Und niemand kann daran etwas ändern. Heute weißt du, dass das so nicht stimmt. Ein gebrochenes Herz heilt mit der Zeit. Es dauert sehr lange, der Schmerz der so tief sitzt muss noch ein wenig ausbluten, doch irgendwann ist die Blutung gestillt, und es beginnt zu heilen. Nur die Narben, die es ziert, die sind für immer vorhanden. Nicht oft kann man sie spüren, aber manchmal, wenn man nichts Schlimmes vermutet, melden sich die Narben mit einem ziehenden Hallo, als würden sie sagen: Gib Acht auf dich! Dann gibt es aber noch Momente in denen spürt man das Herz ganz bewusst und hart unter der Brust schlagen, es ist als wollte es dir sagen: Da bin ich! Und dann, noch in der selben Sekunde, setzt es kurz aus. Dir bleibt nicht nur die Luft weg, sondern es schlägt kurz einfach nicht mehr weiter. Dieser Moment ist selten, und wenn er erscheint, dann reißt er dich mit. Wenn ein Herz also aufhört zu schlagen, bedeutet es dann dass es in dieser Sekunde überfordert ist, und nicht mehr weiß wie es schlagen soll, um kurz darauf ganz unkontrolliert zu holpern?

Die schriftliche Aussprache mit dem Fotografen, welche von dir ins Leben gerufen wurde, liegt über ein Jahr zurück. Im März 2017. Damals warst du glücklich, seine Vergebung anzunehmen, keinen Hass zu spüren, sondern dass du für sein damaliges Verhalten sogar weit mehr als nur Verständnis aufbringen konntest. Ihr hattet nur den einen Tag ein wenig Smalltalk betrieben, nachdem ihr das Damals besprochen hattet, ihr schriebt über eure Leben, er zeigte großes Interesse an dem Deinen, doch du hieltest ihn auf Distanz und hast ihm nicht viel wissen lassen. Er sollte nicht erfahren dass es dir nicht gut ging, zu der Zeit, nicht wegen ihm, anfangs vielleicht schon, aber später, später warst du einfach nur ein wenig überfordert mit deinem Leben und brauchtest dabei Unterstützung.

Eine helfende Hand die es dir ermöglichte wieder weiter zu machen. Auch wenn die helfende Hand zu einer Traube Menschen wurde, denen es allen genauso ging wie dir. Mit anderen Auslösern, manchmal anderen Auswegen, und doch mit den gleichen Symptomen. Ihr alle habt im selben Boot gesessen. Oder im selben Raum einer Klinik, von denen ihr dachtet ihr alle würdet sie niemals von innen sehen. Müssen. Zurückblickend war es die mitunter schwierigste Zeit, beginnend mit dem Tod deines Vaters, die du in deinem bisherigen Leben erleben musstest. Doch du hast den Schritt den du gehen musstest aktzeptiert. Und damit konntest du arbeiten. Anfangs bliebst du auf deinem Zimmer. Du hattest eine Zimmernachbarin und du wusstest nicht was sie hat. Was ihr fehlt. Warum sie da ist. Warum du es bist. Du bekamst rasch Tabletten verordnet, damit du ruhiger werden konntest, damit du endlich nicht mehr weinen musstest, es war erschreckend zu durchleben, wie viele Tränen ein einziger Mensch vergießen kann, und damit du endlich, endlich wieder schlafen kannst. Einschlafen, durchschlafen, überhaupt schlafen. Nachdem du dort angekommen bist, warst du der stille Beobachter, hast erstmal den Kaputtheitsgrad der Leute gecheckt. Und du hast schnell gemerkt, dass alle kaputt sind, auch die, die es eigentlich nicht sind. Und noch etwas wurde dir klar. Es sind alle nur Menschen. Und jeder hat das recht zu Leben. Leben zu dürfen. Vor allem, Leben zu wollen. Auch, wenn alle in diesem Gebäude es erst wieder lernen mussten.

Du bist dankbar dass es Hilfe gibt, für all jene, die einfach nicht mehr weiter wissen, für alle, die nur grau sehen und schwarz sehen, und denen die Welt nicht in den schillernsten Farben erscheint, sondern dunkel und trist. Trotzdem hat es dich noch trauriger gemacht. All das Leid der anderen, und es fiel dir schwer damit umzugehen, es fiel dir schwer das alles nicht auch noch an dich ranzulassen. Es fiel dir schwer das Leid der anderen nicht auch noch mitzuspüren.

Gelegentlich dachtest du an den Fotografen. Du dachtest an den Fremdgeher. Du dachtest an Harry Potter oder an den, der nach Amerika auswanderte, und versprach sich nach einem Jahr zu melden. Es sind einfach mal tausend Jahre vergangen, und er hat sich noch immer nicht gemeldet, und es wurde Zeit ein wenig aufzuräumen. Du hast immermal wieder Profilbilder angeschaut. Doch eigentlich tat sich da nie etwas. Die erste Nummer die du löschtest war Harry Potter. Kurz darauf der Fremdgeher. Und zu guter Letzt: den Fotografen. Beim Fotografen musstest du dich zwingen, du hast die Nummer aufgeschrieben, noch von damals, falls das Handy mal kaputt geht, oder der Kopf. Doch aus dem Handy sollte sie raus, denn die Versuchung, die ist einfach immer da. Die Versuchung zu schreiben, um zu erfahren wie es ihm geht. Wenn du an ihn dachtest, war immer etwas Wehleid dabei, eine Nähe die du so sehr spürtest dass es fast schon körperlich weh tat. Wenn ihr euch mal nicht gestritten habt, ward ihr absolut auf einer Wellenlänge. Und ihr ward euch in vielen Dingen ähnlich. Fast schon zu ähnlich.

Du hast sie gelöscht. Schweren Herzens, doch du hast für dich entschieden dass es so besser ist, denn du hast ihm vergeben. Es ist alles gesagt. Die Nummer von dem, der aus Amerika auswanderte hast du nicht gelöscht. Die hast du mal noch gelassen, denn du findest, da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Oder doch? Vielleicht warst du einfach noch nicht bereit. Du sahst die Nummer von Vati, die sahst du ganz oft und auch sein Profilbild vom See, das mit dem Sonnenuntergang, das sahst du bei WhatsApp und beim Durchsehen der Profilbilder plötzlich nicht mehr. Das erschrak dich kurz und irgendwie hast du nicht verstanden, wie das auf einmal weg sein kann, denn es war ja immer da. Dieses neue Profilbild nun, zeigte einen jungen Mann mit seinem Bruder oder Kumpel oder Bekannten oder Verwanden. Es zeigte nicht den See, und auch nicht deinen Vati. Das machte dich wütend. Das jetzt so ein anderer die Nummer des Vatis hat. Du überlegtest kurz was blödes zu schreiben, aber du löschtest stattdessen beleidigt die Nummer. Nun hast du auch kein schlechtes Gewissen mehr oder fühlst dich irgendwie schlimm dabei, oder traurig. Du bist eher wütend, wegen dem Vogel, der dir nun das Bild mit dem Sonnenuntergang und ein bisschen Vati weggenommen hat. Auch wenn er keine Schuld an seinem Tod trägt.

Aus Blödheit googelst du ihn gelegentlich. Nicht Vati, obwohl die Traueranzeige aus dem Netz, ist nicht mehr vorhanden, komisch. Nicht den Amerikaner, so nennst du ihn jetzt, für dich ist er ausgewandert, das kann er auch bleiben, sondern ihn, den Fotografen. Doch du findest nichts. Es ist, als hätte er nie existiert. Und dann bekommst du eine Nachricht im Whatsapp. Einfach so. Aus heiterem Himmel, nachdem du wieder seinen Namen gegoogelt hast, der kann doch nicht einfach so verschollen sein, denkst du dir, einen Tag später trifft seine Nachricht ein. Du weisst dass er es ist, noch bevor du seine Nachricht, die soeben in der Kurzübersicht oben aufblinkt, zuende gelesen hast, du bist gerade zufällig am Handy. Du weisst es, noch bevor du seinen Namen siehst, den er am Ende der Zeilen geschrieben hat.

„Frau Nauer! Was macht das Herz? Schlägt es noch? S.“ Und noch bevor du seinen Namen liest, reagiert dein Herz, oder auch nicht, denn es setzt aus. Für einen Moment, für diesen einen kurzen Moment des Begreifens, denn du weißt, es ist er, der Fotograf, so schreibt nur er, hört es auf zu schlagen. Um dann ganz furchtbar holperig im eigenem Tempo fortzufahren, so als gehört es nicht zu dir. Es macht dir Angst, dass du noch immer reagierst. Auf ihn. Es macht dir Angst, dass es noch immer reagiert, auf ihn. Es macht dir Angst, das Herz, was kurz aussetzt, für einen Moment, denn du weißt nicht was das zu bedeuten hat. Warum bleibt ein Herz kurz stehen? Wenn es Freude ist, würde es dann nicht ganz freudig hüpfen. Schneller Klopfen? Ist es Angst? Vor ihm, den Fotografen?

Ich verstehe die Frage nicht, möchtest du am Liebsten schreiben, denn du verstehst die Frage nicht. Noch immer ist die Nachricht von gestern ungelesen. Doch du siehst das Bild, was nicht ihn zeigt, sondern den Joker und siehst die Nummer, die seine ist, weil du es weißt, obwohl speziell diese Nummer dir kein Begriff ist. Noch immer wirbelt die Frage durch deinen Kopf, und du fragst dich, ohne es zu wollen, warum schreibt er dir jetzt, und warum keine sinnlose Frage, und warum schreibt er dir und warum überhaupt, und warum interessiert es ihn ob das Herz schlägt oder tot ist, das hat ihn noch nie interessiert und warum das Herz, denn dann ist vielleicht gar nicht deines gemeint und wieso soll es nicht schlagen, was soll es denn sonst tun, wenn es das nicht täte dann wäre es wohl tot, und du glaubst, du glaubst, das hat er damals in deinen Augen sehen können, während er deinen Kopf aufgefangen hat, beim Sturz mit dem Rad, dass das Herz lieber tot wäre, als lebendig ohne ihn.

Damals hättest du alles für ihn getan. Und nun, drei Jahre später, gerätst du noch immer völlig außer Kontrolle, wenn du an ihn denkst, wenn du an eure, für die recht kurze Zeit viele gemeinsame Stunden, denkst. Du wirst melancholisch und traurig, weil du ihn hast ziehen lassen müssen. Du wirst traurig, weil du glücklich warst, dass er damals bei dir war, als er dich zwang mit ihm Silvester zu feiern, mit Nudelgratin, Bleigießen, Knallbonbons, Luftschlangen und Konfetti. Und mit Tränen und Streicheln im Gesicht und Küssen auf der Stirn und mit Umarmungen und Nähe und Hoffnung und Trauer und mit ihm. Mit ihm den Fotografen, den echten.

©️Netti

*Namen geändert

11 Gedanken zu “Sag doch was du willst, und ich sag´ dir was ich fühl´.

  1. Manches hält uns fest, selbst wenn wir es schon längst glauben losgelassen zu haben,
    vielleicht weil wir nicht das gemacht haben, was nötig war oder ist – sich wirklich umdrehen und weiter gehen, wobei das auch leichter gesagt als getan ist, selbst wenn es überfällig ist…

    Lg

    Maccabros

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      1. Entschuldige, wenn ich mich täusche, aber dass ich nicht glaube, dass du deshalb hier schreibst um für deinen Schreibstil gelobt zu werden. Ich trotzdem sagen wollte, dass ich es sehr gut finde was/wie du schreibst.

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      2. Natürlich schreibe ich nicht um für den Stil gelobt zu werden. Warum auch. Dazu schreibe ich hier viel zu selten. Ich schreibe nur wenn mich etwas zu sehr bewegt und ich einfach gerade mit niemandem darüber sprechen kann. 😔

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      3. Ja, ich kenne das selbst sehr gut, nur dass sich mein Talent etwas in Grenzen hält ;) Aber du hast recht. Darum geht es gar nicht, zumindest sollte es nicht. Sondern darum, den Kopf frei zu bekommen, ja denn solche Dinge neigen dazu einen zu erdrücken und daran zu hindern klar nach vorne sehen zu können. Dabei wäre genau das so wichtig.

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  2. Schön wieder von Dir zu lesen, schön wieder ein Teil Deiner Gedanken zu sein. Schön wie Du damit umgehst, mit ihm. Auch wenn ich innerlich hoffe, dass Du auch „richtig“ damit umgehen wirst, in Zukunft. Aber das wirst Du, denn Du bist gefestigt!!!

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  3. Alles braucht seine Zeit.
    Irgendwann wird aus dem kompletten Aussetzer (um danach wie eine Dampflok los zu legen) ein Stolpern, was dich aber mit der Zeit immer weniger taumeln läßt, dich nicht mehr völlig aus dem Tritt bringt und in eine Sackgasse rennen läßt. Irgendwann ist das stolpern kaum noch da und du kannst atmen, denken und gehst ganz normal weiter

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