Ein Gefühl wie Heimweh.

Manchmal magst du Menschen nicht. Du hasst sie. Eigentlich immer. Sie sind zu laut, zu unverschämt. Sie sind einfach zu viel. Menschen sind in der Überzahl. Es gibt zu viele von denen. Zu viele Leute, die man doch gar nicht mal kennt. Vielleicht will man sie auch gar nicht kennen. Vorsicht walten lassen, achtsam sein. Mit offenen Augen durchs Leben gehend, denn du weißt ja nicht ob man dir was böses will. Heute musst du schon damit rechnen abgeknallt zu werden wenn du nur deinen Kopf zum Wohnzimmerfenster raushängen lässt, weil du wunderst dich ja über den entsetzlichen Lärm auf der Straße. Blödes Rumgeschreie und klirrende Flaschen an Hauswänden, du musst ja nach dem Rechten sehen, und hoffst dass du keine Rechten siehst, schließlich steht dein Auto gleich da vorne. Nicht dass es doch dein Autofenster war, Glasscherben die nun zersplittert am Boden liegen.

Da traut man sich ja kaum noch raus, aus den eigenen vier Wänden, man ist sozusagen gefangen, weil man Angstschiss scheißen muss und nicht mehr runter kommt von der Hütte. Aber Wege musst du ja trotzdem gehen, du hast schließlich Termine, stehst mitten im Leben. Auch wenn du dich manchmal eher so am Rande befindest, vom Leben, in dem sich irgendwie alles ohne dich abspielt.

Also gehst du mal wieder rein ins Leben und hinaus in die viel zu lauten und viel zu vielen Menschenmassen. In der Bahn sitzend fährst du zu deinem Termin, den du am Liebsten absagen würdest, du bist extra zeitig aufgestanden, hast dir den Termin extra so früh gelegt, damit du noch was vom Tag hast, wie bescheuert. Lieber würdest du dich gerade noch fünf mal im Bett rumdrehen und fünfmal länger schlafen. Deine Augen werden schon wieder schwer, du musst dich ein bisschen zwingen, wach zu bleiben. Also schaust du. Du schaust sinnlos durch die Bahn und beobachtest. Das liebst du, du liebst es die Menschen zu beobachten, die du eigentlich hasst. Wahrscheinlich widersprichst du dich dabei, aber das ist dir egal, du musst doch jetzt wach bleiben! Die Bahn rattert und rumpelt und quietscht penetrant vor sich hin. Der Platz neben dir ist zum Glück frei, sonst müsstest du Angst haben, vor Messern und komischem Spray, vor Ringen mit so Spitzen und vor Knarren und Gewehren. Gruselige Szenarien, das sieht man ja mittlerweile auf jedem Nachrichtensender. Abgeknallt in der Bahn, weil man niesen musste, oder furzen. Vielleicht auch beides. Manchmal auch weil es sogar gute Menschen gibt, die sich in eine Rangelei einmischen um den bösen Menschen vor einer schlimmen Tat zu bewahren. Doch meist sind es dann die Guten, welche die Arschkarte haben. Die Guten gehen immer zuerst. Du schüttelst den Kopf um den Quatsch der sich innerlich abspielt aus dir rauszubekommen.

Inzwischen bleiben deine Augen an einem Mann kleben, er ist etwas älter, Mitte fünfzig vielleicht, schätzt du, obwohl du überhaupt nicht schätzen kannst. Du beobachtest ihn eingehend. Seine Augen,- und Gesichtszüge, Schatten und Ränder ums Auge herum. Obwohl du diesen Menschen nicht kennst, weißt du, dass er eine Geschichte hat. Jeder Mensch hat das. Jeder erzählt sein eigenes Leben. Mit dem Ausdruck im Gesicht. Mit Körperhaltung und Geste, Mimik und Erscheinung. Dieser Mann lässt etwas in dir aufleben. Ein warmes Gefühl. Eine Empfindung, die du nur ganz selten zulässt, weil du vorsichtig bist. Und aufmerksam. Es ist kein Mitleid, was sich in dir breit macht, denn du wüsstest nicht warum du mit ihm mitleiden solltest, du kennst ihn ja nicht. Aber du hast ein Bedürfnis. Dieser Mann strahlt Ruhe aus, keine Traurigkeit, aber das Leben was ihn prägt, und zu dem werden ließ das er ist. Er strahlt etwas aus, was dich seltsam wehleidig werden lässt, du bekommst direkt Heimweh, so sentimental könntest du auf der Stelle weinen. Deine Augen blicken noch immer. Vielleicht Starren sie auch. Lächelnd, mit einem leichten Schimmer im Augenwinkel. Er bemerkt es, und du bemerkst dass er es bemerkt, er rutscht etwas nervös auf seinem Sessel hin und her, nicht genervt, aber Acht gebend. Trotzdem kannst du es nicht lassen, beinahe bekommst du sie zu fassen, die Geschichte, hinter seinem Gesicht. Das Bedürfnis wird größer, es übermannt dich fast, es plättet dich, und du hast keine Ahnung was das soll, denn das ist doch bescheuert, ob Andere auch so bescheuert sind? Du musst dich stark zusammenreißen das Gefühl zu unterdrücken, musst dich zusammenreißen nicht aufzustehen um zu ihm hinzugehen, den Mann in deine Arme zu schließen. Einfach so. Du hast jetzt gerade das sehr starke Bedürfnis diesen Mann zu drücken. Er ist dir fremd.

Du kennst ihn nicht.

Kennst seine Geschichte nicht, und doch möchtest du ihn gerne drücken. Du erinnerst diese Momente, es ist nicht das erste Mal, dass du das Bedürfnis hast irgendwelche wildfremden Menschen zu drücken, es ist nicht das erste Mal dass du so ausgiebig beobachtest, du hast das immer mal wieder, diese seltsamen Anwandlungen, und es ist dir auch immer wieder unheimlich. Das Gefühl des Heimweh´s ,(was du echt nicht schnallst. Heimweh wenn du einen fremden Menschen anblickst? Macht das Sinn?) und den Drang nach einer Umarmung. Du bist dann nicht traurig, nur ein wenig feinfühliger, noch feinfühliger als ohnehin schon. In diesen Momenten möchtest du den Leuten gern eine Freude machen. Ihnen etwas schenken. Leider hast du nichts dabei was du dem Mann schenken könntest. Du scharrst in deiner Tasche und kramst Tempos hin und her und Tampons und zwischen Kaugummipapierfetzen und Bonbonpapier fasst du in etwas klebriges. Aufgeweichte Schokolade schmiert sich an deinen Händen breit. Na klasse, denkst du dir, und könntest gerade ein bisschen kotzen. Da ist ein selbst gemaltes Zentangle Bild, auf einem quadratischen Stück Papier, das könntest du ihm geben. Aber eigentlich hast du nichts was du ihm geben könntest. Als er zu dir blickt ärgerst du dich, denn das Einzige was du bei dir trägst ist dein Lächeln, was du ihm schenkst. Du lächelst ihn freundlich an, er wirkt so lieb, und du freust dich, denn er lächelt zurück. Das Gefühl nach Heimweh wird stärker und größer. Als die Bahn quietschend anhält musst du aufstehen, deinen Platz des Starrens verlassen, und du beschließt für die Rückfahrt schnell im Blumenladen vorbei zu schauen. Du möchtest diesmal etwas dabei haben, wenn dich wieder das Gefühl nach einer fremden Umarmung übermannt, du möchtest etwas dabei haben, was du schenken kannst. Etwas, was bleibt.

©Netti 

7 Gedanken zu “Ein Gefühl wie Heimweh.

  1. So ein toller, nahegehender Beitrag. Manchmal, da habe ich dieses Gefühl auch. Habe Angst vor Menschen oder wohl eher deren möglichen Handlungen. Aber sie können auch anders sein. Hilfsbereit, liebenswürdig, pflichtbewusst. Es kommt nur immer darauf an, in was für eine Situation du sie antriffst. Übrigens ist dein Blog einer meiner Lieblingsblogs – und das schon von Anfang an. Wollte ich einfach mal loswerden!😊 Ganz liebe Grüße!

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